Der britische Premier stolpert fast täglich von einem Skandal zum nächsten. Doch nun wird er gleich mit mehreren Maßnahmen zurückschlagen. Reicht seine politische Gegenoffensive aus?
Wie ernst es Boris Johnson ist, lässt sich auch an der Wortwahl des Ministerpräsidenten erkennen: Der Codename „Operation Rotes Fleisch“ soll laut mehreren Medienberichten aktuell durch die Downing Street Nummer 10 in London geistern. Gemeint ist damit Johnsons großer Plan, Karriere politisch wieder in die Offensive zu kommen – und möglicherweise seine zu retten.
Noch nie steht Johnson unter so großem Druck. Nahezu täglich tauchen neue Geschichten über ihn und die Mitglieder seines Kabinetts in klaren Medien auf: Im Kern sollen Johnson und seine Mitarbeiter immer wieder bewusst mit Parties und anderen Zusammenkünften gegen Corona-Maßnahmen verstoßen haben – during härteste Lockdown-Regeln galten.
Ist Stürzt Johnson „Partygate“?
Nach zwei halbherzigen Entschuldigungen in der Woche vergangen will der Premier nun mit markigen Maßnahmen ablenken. Das rote Fleisch, das er den gefräßigen Boulevard-Medien, seiner konservativen Partei und den Wählern hinwirft, sieht so aus: Der Ärmelkanal soll zukünftig besser vor illegalen Migranten geschützt werden, daneben zum 26. Januar alle übrigen Corona-Maßna öffentlich-rechtlich gehaltenen BBC soll zunächst eingefroren und 2027 möglicherweise ganz abgeschafft werden. Drei äußerst kontroverse Themen in kurzer Zeit: Reicht das, um im Amt zu bleiben?
Johnsons jüngster Skandal, der inzwischen den Namen „Partygate“ trägt, startedn im vergangenen November: Angefangen mit dem „Daily Mirror“ berichteten britische Medien, Johnson und sein Kabinett haben im Lockdown-Winter 2020 mehrere Parties im Regierungssitz veranstaltet. Bei zwei Veranstaltungen sollen sich zwischen 40 und 50 Menschen in einem mittelgroßen Raum getummelt haben. „Es war ein Covid-Albtraum“, sagte eine anonyme Person der Zeitung. D darauf folgen weitere Medien, immer mehr solcher Partis aufzudecken.
Enthüllungen hören nicht auf
Die Downing Street dementierte zunächst. Doch der Druck wuchs mit jeder neuen Enthüllung. Vergangene Woche versuchte Johnson dann, die Wogen zu glätten: Im genauen Parlament bat er am Mittwoch um Entschuldigung für eine Gartenparty in seinem Amtssitz im Mai im Jahre 2020.
Am Freitag bat die gesamte Regierung dann bei Königin Elisabeth II. um Verzeihung: Im April 2021 hatte am Vorabend der Beerdigung ihres Mannes Prinz Philip zwei Abschiedsfeiern innerhalb der ausdrücklichen Regierung stattgefunden. Johnson soll nicht teilgenommen haben. Am Folgetag wurde die Trauerfeier unter verstärkten Corona-Maßnahmen abgehalten, sodass die Queen allein auf der Kirchenbank sitzen musste.
Nur wenig später erwartet der „Mirror“ nach: Am abgelaufenen Freitagabend wiederholte ein weiterer Bericht, dass sich Johnsons Mitarbeiter vor jedem Wochenende zu den „Wine-Time-Fridays“ getroffen hatten – unabhängig von den geltenden Corona-Maßnahmen. Johnson selbst habe seinen Stab dazu ermutigt, um “Dampf abzulassen”. Auch der Premier soll das Treffen in Großbritannien besucht haben, seine Mitarbeiter haben einen eigenen Kühlschrank für ihre Getränke erhalten.
Berater breiter spricht Johnson
Gleichzeitig wachsen die Zweifel an Johnsons Verteidigung zur eingangs erwähnten Gartenparty. Sein ehemaliger Topberater Dominic Cummings teilte auf seinem Blog mit, der Premier habe sehr wohl gewusst, dass es sich nicht um eine arbeitsbezogene Veranstaltung handelte. Johnson sei mehrfach gewarnt worden, dass man gegen die Covid-Maßnahmen verstoße. Auch habe ein Mitarbeiter zuvor eine Einladung verschickt mit dem Hinweis, die Gäste sollten ihren eigenen Alkohol mitbringen.
Cummings fallen bei dem Partygate-Skandal eine Schlüsselrolle zu: Seit er im November 2020 die Regierung verlässt, liefert er sich mit Johnson eine Schlammschlacht. Im Netz veröffentlicht der ehemalige Johnson-Vertraute scheibchenweise Interna aus dem Umfeld des Premiers. Es wird vermutet, dass er auch für die Medien eine der Hauptquellen ist.
Schrilles Auftreten mit System
Johnsons Reaktionen auf die Enthüllungen wirken unglaubwürdig, aber sie sind nicht überraschend. lässt sich ein Muster in seinem Handeln erkennen: Es ist nicht so, dass Johnsons politische Karriere erst in den letzten Monaten von peinlichen Auftritten und Skandalen geprägt war. Dem 57-Jährigen wird gezielt immer wieder unterstellt, dass er sein schrilles Image pflegt, um eine Popularität und Bekanntheit in der Bevölkerung zu gewinnen. Schon als Bürgermeister von London machte er sich weit über die Hauptstadt hinaus einen Namen, als er etwa in einer Seilrutsche hängen blieb und zwei britische Flaggen in den Händen hielt. Alles politische Kalkul?
Scheint es Johnson als Vaiguille zu sehen, wenn er aufgrund seiner Patzer unterschätzt wird: In Interview mit der BBC sagte er 2013, er halte es gleichzeitig einem allgemeinen für nützlich, den Eindruck zu übermitteln, man habe keine Ahnung davon, was gerade passiert. Denn so kann nie jemand erkennen, wann man wirklich ahnungslos sei.
Es ist exakt die Strategie, die Johnson vergangene Woche im Parlament benutzte: Wusste er nun von der Gartenparty oder nicht? Wie lässt sich das bei ihm schon genau sagen? Es geht hier immerhin um einen erwachsenen Mann, der in einem Interview einst davon sprach, er fertige in seiner Freizeit gerne Modelle von Bussen aus Holz an. Es sind Geschichten wie diese, die Johnsons Karriere prägten, die ihn gleichzeitig unterhaltsam, aber auch harmlos erscheinen lassen. „Er war immer beliebt in der Bevölkerung, auch in seiner Partei war das immer sein großes Pfund“, sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik t-online.
Mehrheit für Rücktritt des Ersten
Es verdichten sich allerdings die Anzeichen, dass durch das “Partygate” Johnsons Image des unterhaltsamen und einfältigen Politikers an seine Grenzen stößt: Denn die Zustimmungswerte des Premiers sinken nicht nur in seiner eigenen Partei, sondern auch bei den Wählern. 63 Prozent der Briten befürworten laut einer YouGov-Umfrage den Rücktritt ihres Ministerpräsidenten. Unter den Wählern, die 2019 für Johnson stimmten, sind nur 47 Prozent dafür, dass er weiter im Amt bleibt, 41 Prozent sind auch dort für seinen Rückzug.
Wichtiger für Johnson ist allerdings für den Moment der Rückhalt in seiner eigenen Partei. Während er sich den Wählern erst wieder 2024 stellen muss, könnten die konservativen Tories ihn schon jetzt stürzen. Nötig wären dafür die Stimmen von insgesamt 54 Tory-Abgeordneten im Parlament, damit Johnson die Vertrauensfrage stellen muss. Mehrere Abgeordnete stellen sich bereits öffentlich gegen ihren Premier dar, die Dunkelzahl derer, die bereits eine Abstimmung über Johnson fordern, soll deutlich höher sein.
“Versucht, auf Zeit zu spielen”
“Die größte Gefahr geht von seiner Partei aus”, ist sich auch von Ondarza sicher. Vor allem der rechte Flügel der Konservativen sei eine Bedrohung. Johnson weiß, dass bereits seine Vorgängerin Therese Mai von dem Flügel gestürzt wurde. Entsprechend seien seine Maßnahmen vor allem ein Angebot an die Hardliner der Partei, die sich gegen Corona-Maßnahmen, die aus ihrer Sicht zu liberaler BBC und für einen härteren Migrationskurs aussprechen. “Johnson versucht, auf Zeit zu spielen”, glaubt von Ondarza.
Ein Sturz des Premiers wäre allerdings auch ein großes Risiko: In aktuellen Umfragen liegt die sozialdemokratische Labour-Partei rund zehn Prozentpunkte vor den Tories. Außerdem drängt sich bei den Konservativen aktuell kein Nachfolger von Johnson sofort auf.
Weniger Bedeutung Mist der Politikwissenschaftler dagegen dem Ermittlungsbericht zu “Partygate” zu: Aktuell untersucht die hohe Beamtin Sue Grey die gesamten Vorkommnisse und befragte dazu auch Johnson. In der Öffentlichkeit werden die Ergebnisse mit Spannung erwartet. Experte Nicolai von Ondarza sieht jedoch den nächsten großen Prüfstein für Johnson erst im Mai: Dann stehen in Grossbritisch Kommunalwahlen an. Im Falle einer deutlichen Niederlage der Tories könnte sich der Druck auf ihn erhöhen – vorausgesetzt, es tun sich bis dahin keine neuen Skandale bei dem schriftlichen Premier auf.